Crustoderma fibuligerum

Crustoderma fibuligerum (KS Thind & SS Rattan) Duhem: 181 (2010), 
Wachsrindenpilz ohne deutschem Namen auf morschem Holz.


Ein aus Indien stammender Pilz, von welchem in ganz Europa nur Funde an zwei französischen Orten bekannt sind – heuer von Günter in Feldkirch gefunden!
Fundbeschreibung von Hansjörg Kevenhörster

Bei unserer Vereinsexkursion vom 22. 02. 2020 in Feldkirch auf dem Ardetzenberg (630 m ü. A.) brachte Mag. Günter Stadler einen cremefarbenen Belag einer Wachshaut auf im Finalstadium vermorschtem, durchfeuchtetem Nadelholz mit Braunfäule (vermutlich Kiefer) zur Fundbesprechung.

Es war ein der Gattung Phlebia deutlich ähnlicher, voll resupinater, knapp 1 mm dicker, wachsartiger Überzug in der Größe von 14 x 3 cm. Der in feuchtem Zustand weißlich-cremefarbene Belag, durch welchen der dunkle Untergrund schwach graulich durchschimmerte, war stellenweise nahezu glatt und an anderen Stellen deutlich warzig höckerig. Die leicht opalisierende Wachshaut schien entweder mit einer Hyphoderma vergesellschaftet zu sein oder diese als Überzug besiedelt zu haben. Eine seriöse Bestimmung des Fundes war mir am Tag der Exkursion nicht mehr möglich.

Wegen Zeitmangel konnte ich nicht gleich mikroskopieren und legte deshalb das zunächst rätselhafte Fundstück zu Hause auf meinem offenen Balkon ab. Durch das leichte Antrocknen dunkelte die anfänglich blasse Wachshaut auf beigeorange nach und war an den Rändern eingerollt. Somit schien das Rätsel bereits schon gelöst zu sein, weil sich nach meinem damaligen Wissensstand „nur“ Phlebiopsis gigantea (BK 2/165) beim Trocknen einrollt. Auch dieses sollte sich anschließend als vorschneller Irrtum herausstellen. Beim Nachmikroskopieren war keine einzige der „selbstverständlich“ erwarteten, zahlreichen und besonders auffälligen Lamprozystiden mit ihren deutlich inkrustierten oberen Hälften zu finden. Also schon einmal nix mit „gigantea“! Und dann kam noch etwas dazu. In KOH 3% quoll beim Mikroskopieren die winzige Probe zwischen Objektträger und Deckglas extrem auf und nahezu das gesamte Präparat löste sich sofort auf. Diese Eigenheit und die fingerförmigen Leptozystiden brachten mich auf Phlebia cornea (BK 2/171) – aktueller Name: Crustoderma corneum. Unter diesem Arbeitsnamen speicherte ich vorläufig meine Mikroskop-Fotos ab. Die wenigen, messbaren Sporen in den Größen 4,5-6 x 2-2,5 µm passten allerdings schlecht zu den Beschreibungen im Jülich auf Seite 169 oder im Breitenbach/Kränzlin, Band 2 von „Pilze der Schweiz“, Seite 162. Als ich in der Österr. Datenbank sah, dass bisher alle 8 kartierten Funde als „unsicher“ eingetragen wurden, schien es mir, dass alle Bestimmer vor mir auch die gleichen Probleme gehabt haben könnten. Meine Nachforschungen in der Bernicchia, Band 12 „Corticiaceae“ von „Fungi Europaei“, Seiten 242-243 ergaben, dass es sich eher um Crustoderma dryinum handeln könnte.

Da jedoch meine umfangreichen Bestimmungsversuche ebenfalls nur zu einem unsicheren Ergebnis führten, erlaubte ich mir, die Exsikkate an Frau Mag. Dr. Irmgard Krisai-Greilhuber, Österr. Mykolog. Gesellschaft, Dept. f. Botanik u. Biodiversitätsforschung der Universität Wien, Rennweg 14, 1030 Wien, zu senden mit der höflichen Bitte, diese „harte Nuss“ für uns zu knacken. Nun ist die Bestimmung eines seltenen Pilzes, von welchem man zudem noch keine Literatur hat, meist nicht in wenigen Stunden oder Tagen erledigt und so erreichte uns erst am 07. 08. 2020 folgendes Mail von Irmgard:

Lieber Hansjörg, lieber Günter,
jetzt ist endlich das Sequenzier-Ergebnis Eures Rindenpilzes fertig.
Gratuliere! Gut, dass Hansjörg so skeptisch war, was die Übereinstimmung der ermittelten Merkmale mit der Literatur betraf!
Es ist Crustoderma fibuligerum! Diese Art wurde kürzlich in der französischen Zeitschrift als neu für Europa vorgestellt. Es gibt zwei französische Fundorte. Falls ihr das nicht habt, kann ich es einscannen und falls ihr Französisch nicht versteht, auch übersetzen. Gebt einfach Bescheid!
Und danke dafür, dass ihr so einen interessanten Fund gesammelt und dann auch geschickt habt. Hab den Beleg jetzt mal ins WU gegeben (weil ich ihn auch als Referenz fürs ABOL-Projekt benötige), er lässt sich aber teilen, wenn ihr ihn z.B. auch ins Inatura-Herbar geben möchtet.
Liebe Grüße,
Irmgard

Wir sind der Irmgard für ihre Arbeit zutiefst dankbar und freuen uns überaus, trotz aller Bescheidenheit, über dieses grandiose Ergebnis. Ist es doch zum Jubeln: „(fast) NEU für ganz EUROPA“ – diese Nachricht wird sicherlich den gesamten Pilzkundlichen Verein Vorarlberg freuen und hoffentlich einige Mitglieder anspornen, sich auch einmal für “Pilze ohne Hut und Stiel” zu interessieren. Vielleicht ist dieser Pilz nicht einmal so selten, aber es wird sicherlich nur sehr selten versucht, ihn richtig zu bestimmen. Als mich Günter bat, seinen Fund zu bestimmen, hielt sich meine Begeisterung auch so ziemlich in Grenzen weil ich schon ahnte, dass diese Bemühungen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen werden.

Jetzt aber noch zu einer anderen Crustoderma-Art: In seinem Mail vom 10. 08. machte mich Günter darauf aufmerksam, dass die Gattung Crustoderma ohnehin ziemlich interessant zu sein scheint. Die mit unserem Fund verwandte Art Crustoderma dryinum (Ockerfarbene Krustenhaut) wurde nämlich von Dr. Lothar Krieglsteiner zu seinem „Pilz des Monats Mai 2020“ gewählt. Seine Beschreibung dieser ebenfalls seltenen Art ist sehr aufschlussreich und hätte mir im Februar schon bestätigt, dass ich damals mit meiner Bestimmung wohl in der richtigen Gattung gelandet bin, jedoch die von mir vermutete Art mit unserem Fund nicht übereinstimmen konnte. In seinem Beitrag erwähnt Krieglsteiner zudem auch, dass man früher dachte, dass alle krustenförmigen Rindenpilze miteinander verwandt wären, und deshalb stellte man sie in die Familie Corticiaceae. Nun ist aber diese „Wuchsformen-Systematik“ vollkommen überholt und man weiß heute, dass Rindenpilze als Wuchsform in vielen Ordnungen der Ständerpilze vorkommen. Ein großer Teil, zu dem auch Crustoderma gehört, steht in der Ordnung Polyporales und die Art C. dryinum speziell in der Familie Meruliaceae. (Allerdings entnahm ich aus der Klade der nachfolgend angeführten französischen Veröffentlichung, dass sämtliche Crustoderma-Arten in die Familie der Pycnoporellaceae gehören.) Lothar Krieglsteiner räumt auch ein, dass er früher Rindenpilze eher beiseite legte und die Bestimmung lieber anderen überließ. Seit wenigen Jahren ist er aber dabei, dies zu ändern und bekommt immer mehr Freude an den Rindenpilzen sowie auch nach und nach einen besseren Überblick und mehr Bestimmungs-Sicherheit.

Nachträglich fand ich auch noch heraus, dass bereits schon 2015 Hans Bender, Mönchengladbach, die mit unserem Fund verwandte Art Crustoderma dryinum unter einem anderen deutschen Namen (Safrangelber Wachsrindenpilz) sogar schon als „Pilz der 49. Woche 2015“. publiziert hat. In der Österr. Datenbank wird C. dryinum als „Safrangelber Schlauchzystiden-Wachsrindenpilz“ mit nur 2 Funden im gesamten Bundesgebiet geführt.

Am 22. 08. 2020 erhielten wir dann von Irmgard auch den Scan der französischen Arbeit, die unseren Erstfund für Österreich, namens Crustoderma fibuligerum behandelt, entnommen aus dem Bulletin Société mycologique de France (MycoFrance). Weil ich der französischen Sprache leider nicht mächtig bin und mir noch keine Übersetzung der franz. Arbeit vorlag, beschränkte ich mich vorerst einmal auf den Vergleich der Sporenmaße. Dabei konnte ich erfreut feststellen, dass die dort angegebenen Größen von 4,2-5,8 x 2-2,8 µm mit meinen Sporenmessungen vom Februar 2020 ziemlich genau überein stimmen. Auch meine anderen fotografisch dokumentierten Mikromerkmale passen eindeutig zu den Abbildungen der französischen Publikation. Da wir noch länger keine Übersetzung der französischen Publikation hatten, übersetzte Gerhard in mühevoller Kleinarbeit die gesamten 16 Seiten der Originalfassung vom Französischen ins Deutsche. Mit Auszügen daraus erstellte ich nun eine Kurzfassung in deutscher Sprache und freue mich nun, endlich meinen gesamten Bericht in unserer MIP (Mitglieder-Informations-Plattform) für alle Vereinsmitglieder von Gerhard veröffentlichen zu lassen.