Entoloma indutoides var. griseorubidum

Entoloma indutoides var. griseorubidum (Kühner ex Noordel.) Noordel.
Syn.: Entoloma griseorubidum
Olivhütiger Zärtling (graurote Varietät) oder Trichterlingsähnlicher Zärtling

Fundbeschreibung von Hansjörg Kevenhörster

Nach außergewöhnlich vielen Tagen mit Starkregen hatte meine Tochter eine sehr gute Idee. Sie machte mir den Vorschlag, einen der nächsten Sonnentage im Naturschwimmbad „Untere Au“ in Frastanz zu verbringen. Damit wollte sie erreichen, dass ich nicht andauernd auch noch bei schönstem Badewetter vor dem PC hocke, um Pilzporträts zu schreiben. Sie hatte ja wirklich recht – wenigstens bei Sonnenschein und frischer Luft, ein Tapetenwechsel mit Bewegung und so weiter . . .

So folgte ich ihr am 20. Juli 2021 trotz akutem Zeitmangel als Rentner ins Schwimmbad. Dort lagerten wir, umgeben von zahlreichen Bäumen, wie z.B. Feldahorn, Pappel, Weide, Esche, Hainbuche und Eiche auf einem kurz gemähten Trockenrasen, welcher den sandigen Kalkboden überdeckte. Beeindruckt beobachteten wir die unzähligen Wildbienen, Honigbienen und Hummeln bei ihrer eifrigen Ernte an den dort massenhaft vorhandenen Blütenständen von Ajuga reptans (Kriechender Günsel). Ja – und während diesen völlig entspannten Naturbeobachtungen war es wohl unvermeidlich, dass selbstverständlich auch Pilze in mein Blickfeld rückten. Die zarten Fruchtkörperchen von Parasola auricoma (Braunhaariger Kahlkopf-Tintling) waren ebenso faszinierend wie die etwa gleich großen der Entoloma incanum (Braungrüner Zärtling) mit ihren bei Verletzung sofort intensiv blaugrün verfärbenden Stielen und ihrem deutlichen Geruch nach verbranntem Horn. Diese beiden Funde wären aber noch kein Grund gewesen, um vom eigentlich geplanten Badevergnügen abzuschweifen. Doch dann entdeckte ich kleine, unscheinbare Rötlinge, die ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Und damit war wieder einmal das ursprünglich angestrebte Ziel – nämlich nicht schon wieder ein Pilzporträt schreiben zu müssen – genau total verfehlt.

Zunächst einmal sammelte ich die Winzlinge ein, bevor sie von den ahnungslosen Badegästen zertreten wurden. Und was macht man mit Pilzchen, die man noch nicht kennt? Man nimmt sie einfach mit nach Hause, um mit Hilfe des Mikroskops schnell einmal Klarheit zu schaffen. Das wird ja wohl kein großes Problem sein – ist es dann aber doch noch geworden! Jedoch, wenn alles wirklich so einfach wäre, gäbe es darüber auch nicht diese ausführliche Fundbeschreibung. Bedauerlich war schon einmal, dass ich als Badegast keinerlei pilzkundliche Ausrüstung bei mir hatte und deshalb auch keine Fotos am Standort machen konnte. Mangels eines geeigneten Behälters, wickelte ich die zarten Findlinge in ein frisches Papiertaschentuch ein und verstaute das Ganze, so gut es eben ging, in der Badetasche. Erst viel später, nach einem langen Badetag, waren die Pilzchen leicht angetrocknet und etwas ramponiert. Dank ihrer erstaunlichen Festigkeit waren sie aber doch so gut erhalten, dass ich zu Hause von ihnen wenigstens noch ein paar Ausschnitte unter der Stereolupe fotografieren konnte. Deshalb sind die ersten 9 Porträt-Fotos 7 bis15fach vergrößert und wie bereits erwähnt, etwas trocken. Die mir vorerst noch unbekannten Rötlinge (Zärtlinge) hatten dunkelgraubraune Hütchen mit einem Durchmesser von 11 bis 27 mm. Auffallend war ihre stark gewölbte Hutform mit deutlich genabelter Mitte und heruntergezogenen Huträndern. Ihre glatte Hutdeckschicht schien durch winzige, radial silbrig glänzende Strähnchen leicht faserig. Nur die genabelte Mitte war etwas rauh, aber nicht schuppig. Die mäßig entfernt stehenden, leicht dicklichen, hellgrauen Lamellen waren breit am Stiel angewachsen und nur mit winzigen Zähnchen herablaufend. Deutlich überfasert waren die hell- bis dunkelgrauen, hohlen Stiele mit einer Dicke von 3-5 mm und einer Länge von bis zu 45 mm. Bei den frischen Fruchtkörpern konnte ich keinen Geruch feststellen.

Die Mikrofotos meiner ersten Präparate mit Wasser offenbarten mir braune Sporenmuster, welche aussahen, wie die Kauflächen von Backenzähnen. Dadurch war ich mir ganz sicher, dass dieses auffällige Merkmal doch sehr schnell zu einer problemlosen Bestimmung führen wird. Weit gefehlt, denn dieses Sporenmuster fand ich weder bei den von E. Ludwig hervorragend charakterisierten 176 verschiedenen Entoloma-Arten, noch gibt es sie vielleicht überhaupt bei einer der rund 400 in Europa bekannten Entoloma-Taxa. Angesichts dieser niederschmetternden Erkenntnis darf ich jetzt auch ungeniert erwähnen, dass ich ganz bestimmt kein Rötlings-Spezialist bin. Aber ich gab nicht auf und mikroskopierte eisern weiter. So kam ich dann schließlich auf ca. 80 Mikrofotos mit zahlreichen, recht brauchbaren Ergebnissen. Sporen 10-14 x 8-11 µm, viersporige Basidien 40-50 x 12-19 µm, Cheilozystiden 40-80 x 12-20 µm bauchig sowie teilweise mit apikal fingerförmigem Fortsatz und Basalschnallen, keine Pleurozystiden. Durch die extrem unförmigen und unregelmäßigen Sporenformen fand ich dann im Band 2 von Erhard Ludwig unter der Nummer 94.144 B die Beschreibung und Abbildung, die auch genau zu meinem Fund vom Schwimmbad passt. Es handelt sich um Entoloma indutoides var. griseorubidum (Trichterlingsähnlicher Zärtling). Da es von dieser kaum bekannten Rötlingsart in unseren Vereinsfundlisten der letzten 17 Jahre noch keine Fundmeldung gibt, entschloss ich mich, darüber ein etwas umfangreicheres Pilzporträt für die Mitglieder des PKVV zu verfassen.

Am 22. 07. 2021, also zwei Tage nach meinem Fund, besuchte mich mein Pilzkollege Gerhard Bischof zu unserem traditionellen „pilzkundlichen Abend“. Ich berichtete ihm von meinem seltenen Fund und zeigte ihm die immer noch im angefeuchteten Taschentuch eingewickelten Pilzchen, welche bis dahin im Kühlschrank lagen. Als er daran roch, fragte er mich, ob sie denn bei den Landjägern gelegen sind. Sie rochen tatsächlich deutlich nach geräuchertem Fleisch. Da ich nichts dergleichen im Kühlschrank hatte, schaute ich im Ludwig nach, ob er etwas über den Geruch schrieb. Dort steht auf Seite 463 wörtlich genau: „Geruch bei Aufsammlung fehlend, nach 2 Tagen wie Räucherschinken!“ Jetzt hatte ich keinen Zweifel mehr, dass ich meinen Fund richtig bestimmt habe. Hierzu zog ich folgende Literatur zu Rate: Frieder Gröger „Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa, Teil I“ (Regensburger Mykologische Schriften, Band 13) Seite 557, 4a. Erhard Ludwig „Pilzkompendium Band 2“ Nr.94.144 B, Beschreibung Seiten 463-464. Machiel E. Noordeloos „Entoloma s.l.“ Fungi Europaei Band 5, Nr.163, Seiten 456-459, Abb. Seite 687. Am 29. 07. 2021 ging ich mit Angelika wieder ins Schwimmbad „Untere Au“ und da fand meine Tochter nach längerem Suchen im taufrischen Rasen doch tatsächlich noch einmal zwei schöne Pilzfruchtkörperchen, von welchen ich dann auch noch – diesmal etwas besser vorbereitet – ein paar Standortfotos machen konnte.

Der deutsche Name „Zärtling“ kann leicht zu Verwirrungen führen, da er sowohl für kleine Rötlings-Arten, als auch in älteren Büchern (z.B. BK 4, Ausgabe 1995 und Gerhardt, Ausgabe 1997) für div. Psathyrella-Arten (Faserling, Mürbling, Zärtling) verwendet wurde. Derzeit ist in der Österr. Datenbank die deutsche Bezeichnung für kleine Entoloma-Arten „Zärtling“ und für ehemalige sowie aktuelle Psathyrella-Arten „Faserling“. Die deutsche Bezeichnung „Mürbling“ findet man hauptsächlich noch im Internet, z.B. Wässriger Mürbling.

Dieser, wahrscheinlich für manche Leser viel zu lang gewordene Fundbericht sollte nebenbei auch bewusst machen, dass eine gewissenhafte, einwandfreie Pilzbestimmung öfters beträchtlich länger dauern kann, als ursprünglich vorgesehen. Mitunter erfordert sie sehr viel Durchhaltevermögen, Geduld und Hingabe sowie vor allem Zeit. Deshalb wäre die Pilzkunde beispielsweise kaum die passende Beschäftigung für oberflächliche, eilige Hektiker oder erfolgsverwöhnte Draufgänger. Sie benötigt auch keine dummen Schlachtrufe wie z.B.: „Auf die Schwammerl, fertig, los!“ Mit Überheblichkeit würde man sehr schnell an seine eigenen Grenzen stoßen und beharrliche Rechthaberei sowie übertriebene Geltungssucht haben in der Pilzkunde sowieso keinen Platz. Viel eher würde auch hier ein Quäntchen Demut nicht schaden. So kann die Pilzkunde, abgesehen von ihrem wissenschaftlichen Wert, auch zur wohltuenden und manchmal auch notwendigen Entschleunigung beitragen. Schließlich sollte die als Liebhaberei betriebene Mykologie nicht überaus anstrengend sein, sondern vielmehr als eine erfüllende Faszination empfunden werden.

Als eng begrenzte Kurzbeschreibung mit jeweils nur einer Abbildung pro Art genügen ja behelfsmäßig die meisten Pilz-Informationen aus den gängigen Bestimmungsbüchern. Aber damit unsere interessierten Mitglieder zu einem bestimmten, meist seltenen Pilz wesentlich mehr ausführliche Erläuterungen sowie wertvolle Hinweise auf seine besonderen Merkmale und Verwechslungsmöglichkeiten mit Darstellungen von Einzelheiten auf zahlreichen Fotos bekommen können, wurden für sie die „Pilzporträts“ auch als lehrreiche Erfahrungsberichte in der MIP veröffentlicht.

Links:
https://www.interhias.de/schwammerlseiten/bestimmungen/2014/entoloma/entoloma.html#ank8
https://pilzdaten-austria.eu/#tax/146251
https://www.mycobank.org
Österreichische Zeitschrift für Pilzkunde

 

Fotos: Hj. Kevenhörster