Resupinatus europaeus

Resupinatus europaeus Consiglio & Setti, Monografie di Pagine di Micologia 3: 301 (2018)
kein Deutscher Name


Fundbeschreibung von Hansjörg Kevenhörster

Üblicherweise wird ja die Zeit um Weihnachten nicht gerade zur „Schwammerlzeit“ gerechnet. Aber die Annahme, dass Mitte Dezember keine Pilze mehr zu finden sind, wäre ein bedauerlicher Irrtum. Wer sich nämlich zu dieser speziellen Zeit hinreißen lässt, die weniger bekannten Pilze zu erkunden, kann dafür ganz besonders reich belohnt werden. So ging’s mir glücklicherweise am 16. 12. im Corona-Jahr 2020, als ich in Rankweil, Nähe Valduna, auf dem „Egatarundweg“ die nahezu menschenleere Winterlandschaft genoss. In einem feuchten und schattigen, schluchtartigen Nadelwaldabhang lag wohl schon längere Zeit an einer schneefreien Stelle ein kurzer, leicht angemorschter Stamm-Abschnitt einer Tanne mit gebrochenen Aststummeln. An einem, noch berindeten, ca. 15 mm dicken und ca. 25 cm über dem Boden hängenden Ästchen entdeckte ich eine unscheinbare Gruppe kleiner, schwärzlicher Pilzfruchtkörperchen, die ich bisher noch nie gesehen hatte. Während in einem benachbarten Waldstück mit einer jaulenden Motorsäge für Nachschub zum bereits schon angelaufenen Christbaumverkauf gesorgt wurde, erfreute ich mich riesig an meinem wahrscheinlich sehr seltenen Fund. Ungünstige Lichtverhältnisse erschwerten meine Versuche, die kleinen, muschelförmigen und teilweise seitlingsartig angewachsenen Pilzhütchen mit ihrem Durchmesser von 2-9 mm zu fotografieren. Ihr Aussehen war jedoch derart faszinierend, dass ich mich nicht davon abhalten ließ, im dortigen Wald an verschiedenen Örtlichkeiten mit unterschiedlichen Lichtverhältnissen ihren optisch zarten Charakter fotografisch festzuhalten.

Zu Hause setzte ich mich sofort ans Mikroskop und durchsuchte eifrig die Fachliteratur, schließlich war ich gespannt, mit welchem Namen ich meinen noch unbekannten Fund benennen darf. Zunächst überprüfte ich, ob vielleicht Panellus violaceofulvus (Violettblättriger Muschelseitling) in Frage kommen könnte. Erstaunlicherweise stimmten dazu die Mikromerkmale mit den Angaben im BK 3/392 ziemlich gut überein. Nur, wenn man sich das typische Aussehen auf den üblichen Abbildungen von diesem Weißtannenbesiedler in der Literatur anschaut, dann ist klar, dass mein Fund sicherlich eine andere Art sein muss. Im Ludwig, Band1, fand ich dann unter der Nr.73.1 ein Pilzchen, dessen schöne Fruchtkörperchen rein makroskopisch wesentlich besser zu meinen Findlingen passen würden. Der dort abgebildete und beschriebene Resupinatus applicatus (Dichtblättriger Zwergseitling) konnte es aber leider auch nicht sein. Er hat nämlich kugelige Sporen, andere Cheilozystiden sowie auch andere Substratansprüche.

Über dieses Dilemma sprach ich am nächsten Tag während unserem wöchentlichen Pilzkundeabend mit Gerhard Bischof. Auch er fand die noch frischen Pilzchen besonders reizvoll und sah in seinem Smartphone nach, ob es noch weitere Arten in der Gattung Resupinatus gibt. Bald stieß er auf die Seite von Michael Kuo MushroomExpert.Com und kam so auf Resupinatus alboniger, einem Pilz, der im Osten Nordamerikas weit verbreitet sein soll. Nun ja, in der Österr. Datenbank und auch im sehr gehaltvollen Werk „Die Pilze Österreichs“ sowie in der gesamten, üblichen Literatur war diese Art jedenfalls nicht zu finden. Gerhard fand dann tags darauf auch noch heraus, dass dieser Pilz nur im slowakischen Buch „Ottova Encyklopedia Hub“ von Ladislav Hagara abgebildet ist. Der ca. 4 kg schwere „Hagara“ ist mit 4.200 Fotos bebildert und beschreibt in slowakischer Sprache 3.230 verschiedene Pilz-Arten. In diesem Werk wurden 4 verschiedene Resupinatus-Arten abgebildet und beschrieben. Mitglieder des PKVV haben die Möglichkeit, dieses Buch aus ihrer Vereinsbibliothek auszuleihen und auf der Seite 763 ein gutes Bild von Resupinatus alboniger zu betrachten. Ein Vergleich mit meinen Fotos ergibt eine zweifelsfreie Übereinstimmung. Gerhard sandte mir zudem noch die Mitteilung, dass auch der „Gröger“ diesen Pilz beschreibt. Im Teil 1 des „Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa“ von Frieder Gröger (2006) fand ich auf Seite 267 unter 9a den Schlüssel unter dem Synonym Hohenbuehelia albonigra. Auf Seite 264 erklärt Gröger, dass Pilzarten der Gattung Hohenbuehelia wegen ihren charakteristischen dickwandigen Zystiden (Metuloide) auf Deutsch auch Harpunenschwamm genannt werden. Gröger erwähnt auch, dass vom hier beschriebenen Pilz nur wenige Funde in Europa bekannt sind. Dazu stellte ich ebenfalls fest, dass er in der Schweizer Datenbank völlig fehlt und darüber in der Deutschen Datenbank nur 2 Datensätze eingetragen sind. Bei Resupinatus alboniger fehlen die für Hohenbuehelia typischen Metuloide (dickwandige, kristalltragende Zystiden) total. Erst 2018 wurde dieses Taxon von der Gattung Hohenbuehelia zur Gattung Resupinatus gestellt. Siehe dazu auch ein Beitrag von Dr. Christoph Hahn mit seinem „Provisorischen Schlüssel der lamelligen Resupinatus-Arten Europas von Christoph Hahn (nach McDonald 2015)“, welchen ich ebenfalls von Gerhard zugesandt erhielt.

An meinem Fund stellte ich folgende Mikromerkmale fest: Sporen 6,5-8 x 3-4 µm, zylindrisch, nur schwach allantoid (wurstförmig gekrümmt), glatt, inamyloid (keine Farbreaktion auf Jod); Basidien viersporig 19-20 x 4,5-5 µm; absolut keine Metuloide; Cheilozystiden (sterile Zellen der Lamellenschneiden) hauptsächlich spindelförmig, seltener auch flaschenförmig mit teilweise fingerförmigen Auswüchsen. Alles stimmt mit der Arbeit von Michael Kuo (2009) „MushroomExpert“ und den Schlüsseln von Christoph und Gröger sehr gut überein. Es ist übrigens gar nicht so leicht, aus dem zähen, gelatinösen Fruchtkörperchen des eigentlich sehr zerbrechlich aussehenden Pilzchens ein Fragment zum Mikroskopieren herauszulösen. Als Exsikkat (ausgetrocknetes Beleg-Exemplar) sind die kleinen Fruchtkörperchen hornartig und extrem hart. Glücklicherweise stimmten alle Mikromerkmale, das makroskopische Aussehen, das Habitat sowie auch das Substrat und die Erscheinungszeit mit all den wenigen Angaben und Abbildungen sehr gut überein, so dass es für mich keinen einzigen Zweifel gibt, dass mein Fund als Resupinatus alboniger richtig bestimmt ist [in diesem Fall nun R. europaeus]. Schlussendlich fand ich dafür auch noch eine zusätzliche Bestätigung im Internet auf der besonders empfehlenswerten Seite vom schweizerischen „Pilzverein am Bachtel“.

Auf meinem angenehmen und überglücklich machenden Dezember-Pilzgang erfreute mich aber nicht nur der hier beschriebene Erstfund, sondern auch noch zusätzlich das Auffinden einer Fülle rasig gewachsener, wunderschöner Fruchtkörper von Panellus mitis (Milder Zwergknäueling) sowie einer Kollektion von Neolentinus adhaerens (Harziger Sägeblättling). Beide ebenfalls nicht alltäglichen Funde verdienen es ganz sicher, später auch noch in einem separaten Pilzporträt in der MIP vorgestellt zu werden. Zusammenfassend denke ich voll Dankbarkeit und Freude daran, dass ich niemals dieses einzigartige Weihnachtsgeschenk erhalten hätte, wenn ich den faszinierenden Winter-Pilzgang nicht gemacht hätte. Also erübrigt sich wohl jede weitere Frage, ob es sinnvoll ist, auch im Winter nach Pilzen Ausschau zu halten. Deshalb wünsche ich in aufrichtiger Kameradschaft allen Gleichgesinnten, ebenfalls höchst interessante Winter-Exkursionen mit unvergesslichen Naturerlebnissen und seltenen Pilzfunden. Das alles zudem noch in derzeit ziemlich menschenleeren Wäldern ohne Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus.


In der Datenbank der Pilze Österreich gibt es zur Zeit noch keinen Eintrag.
Mycobank
R. alboniger: Deutsche-Uebersetzung-MushroomExpert.pdf
Schluessel_lamellige_Resupinatus-Arten_Europas.pdf
Buchbesprechung: Consiglio & Setti 2018: I generi Hohenbuehelia e Resupinatus in Europa